Ausstellung: „Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive“
Wo: Museum Ludwig, Köln
Wann: 14.3. – 5.7.2015
Link: http://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/rueckblick/2015/sigmar-polke.html
Eintritt: 11,00€ / 7,50€
Katalog: Kostet sowohl in der Ausstellung als auch im regulären Buchhandel 49.95€. Der Katalog wurde für die vorhergehende Präsentation der Polke-Ausstellung im New Yorker MoMA erstellt und nun für die Kölner Station bloß leicht modifiziert. So sind die zusätzlich in Köln gezeigten Werke lediglich in einer Extra-Liste aufgeführt, aber nicht abgebildet. Auch sind viele der (bereits in New York und danach in London) gezeigten Kunstwerke nur kleinformatig abgebildet, was ich bei einem derart voluminösen Buch (über 300 Seiten) schade finde. Es ist also eher ein Essay-Buch über Polke aus Anlass der Ausstellung als ein expliziter Katalog, der die gezeigten Werke erläutert. Gut gefällt mir hingegen die Sektion „Polke im Kontext: Eine Chronologie“, bei der jeweils eine Doppelseite einen wichtigen Aspekt in Polkes Werk der jeweiligen zeitgeschichtlichen Entwicklung gegenüberstellt und ansprechend bebildert.
Über die Ausstellung:
Sigmar Polke (1941-2010) war seit den 1960er Jahren einer der angesehensten und einflussreichsten Künstler in Deutschland – und obendrein ein besonders kreativer und vielseitiger. Er arbeitete aber vergleichsweise zurückgezogen und war im öffentlichen Kunsttreiben deutlich weniger präsent als etwa Gerhard Richter, mit dem zusammen er im Rahmen des „Kapitalistischen Realismus“ 1963 erstmals für Furore gesorgt hatte. Bereits vor dem Tod Polkes hatte das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) mit der Planung einer umfangreichen Polke-Ausstellung begonnen, die nun zur ersten großen posthumen Retrospektive geworden ist. Nach der Premiere in New York war die Ausstellung in der Londoner Tate Modern zu sehen und ist danach nach Köln weitergezogen, wo Polke jahrzehntelang bis zu seinem Tod gelebt hat.
Die Ausstellung versucht das Gesamtwerk Polkes darzustellen, d.h. sie beschränkt sich nicht nur auf Gemälde, sondern zeigt auch zahlreiche Skizzen sowie diverse Filme. Die frühen Werke Polkes aus den 1960er Jahren sind sehr umfangreich präsent, auch werden die bisher vergleichsweise weniger bekannten Arbeiten aus den 1970er Jahren in großer Zahl gezeigt. Die großformatigen Gemälde seit den 1980er Jahren, mit denen Polke internationale Erfolge feierte, sind ebenfalls, wenn auch in geringerer Zahl vertreten.
Mit ihrem großen Umfang und den prominenten Ausstellungsorten MoMA, Tate, Museum Ludwig setzt diese Ausstellung den Maßstab für die öffentliche Wahrnehmung der Kunst Sigmar Polkes für die nächsten Jahre.
Kunst + Physik:
Sigmar Polke wurde spätestens seit der Biennale in Venedig 1986, als er den deutschen Pavillon bespielte und dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, immer wieder als „Alchimist“ bezeichnet, was einerseits auf die teils ausgesprochen ungewöhnlichen Materialien seine Werke zurückgeht, andererseits auf die teils geheimnisvollen Motive. Als „Alchimist“ ist Polke natürlich für „Kunst und Naturwissenschaft“ prädestiniert, aber auch darüber hinaus ist sein Werk unglaublich reichhaltig, wenn man es mit naturwissenschaftlichem Auge betrachtet:
In einigen frühen Werken hinterfragt Polke das Standardrepertoire von Astrophysik und Astronomie, etwa wenn im „Sternhimmeltuch“ (1968) der Schriftzug „S. Polke“ als Sternbild auftaucht oder wenn er bei „Erweiterung des Planetensystems um einen 10. Planeten“ (1968) diesen zehnten Planeten „Polke“ nennt: Dass die Definition von „Planeten“ eine gewisse Beliebigkeit beinhaltet, ist spätestens klargeworden, als Pluto 2006 vom Planeten- auf Zwergplanetenstatus zurückgestuft wurde.
Diverse große Arbeiten wie „Can you always believe your eyes?“ (1976) oder „Die Dinge sehen, wie sie sind“ (1991) buchstabieren ganz offen die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung, die auch in zahlreichen anderen Polke-Werken, oft deutlich versteckter, eine Rolle spielt.
Die „alchemistischen“ Materialien, die Polke verwendet hat, sind besonders in den beiden großformatigen Werken der Serie „The Spirits That Lend Strength Are Invisible“ (1988) zu entdecken sowie bei den etwa zur selben Zeit entstandenen großen „Hochsitz/Wachturm“-Gemälden, von denen sechs zu sehen sind und die unglaubliche Vielfalt in Polkes Werk anhand eines einzigen Motivs deutlich machen. Dies ist ein Höhepunkt der Ausstellung, sonst sind diese sechs Werke über sechs Sammlungen an unterschiedlichen Orten verteilt! Gleich nebenan werden außerdem ein gutes Dutzend kleinere Leinwände, „Farbproben“, gezeigt, die einen Eindruck in die Vorbereitungen geben, die mit den großen Gemälden einher gegangen sein müssen. Hier ist auch der 60-minütige Film „Farbe“ zu sehen, der eindrucksvoll bebildert, wie in Polkes Atelier mit Farbpigmenten hantiert, geradezu „gespielt“ wurde, als solche Werke entstanden.
Im letzten Saal kommen „physikalische“ Aspekte noch einmal voll zum Tragen: Einerseits sind dies die Bilder aus der Serie „Strahlen Sehen“ (2007), deren Motive die menschliche Lichtwahrnehmung aufgreifen, die mittels transparenter Gelschichten aber selbst nur verzerrt wahrgenommen werden. Und Verzerrungen gibt es hier auch in weiteren Werken. Auch greift „Der Illusionist“ (2007) noch einmal die Frage auf, was vom Wahrgenommenen auch wirklich wahr ist. Und bei der photographisch, aber ohne sichtbares Licht erstellten Serie „Urangestein (Rosa)“ (1992) geht es noch einmal fundamental um Licht und Strahlung.
Und das ist nur eine Auswahl der naturwissenschaftlich wichtigen Punkte in der Ausstellung, Polke hat in diesem Kontext sehr, sehr viel zu bieten!
Persönliche Einschätzung:
Dies ist eine große Ausstellung mit zahlreichen großartigen Werken! Aber wird sie dem Anspruch, den „gesamten Polke“ zu zeigen, gerecht? Meiner Meinung nach nicht ganz. Zwar sind die 60er und 70er Jahre umfassend vertreten, aber von den vielschichtigen, großformatigen Gemälden der 80er und 90er Jahren hätte ich mir einige weitere gewünscht und auch die von zwei Seiten zu betrachtenden Bilder der „Laterna Magica“-Serie hätte ich mir gerne einmal wieder angeschaut. Aber vielleicht ist gerade dies ein Fazit des Ausstellungsbesuchs: Auch mit einer so umfangreichen Ausstellung kann man die Vielfalt und Kreativität des Gesamtwerkes von Sigmar Polke nicht vollständig fassen!
Werke von Sigmar Polke sind in diversen öffentlichen Sammlungen zu sehen, aber kein Museum kann mit eigenen Werken auch nur annähernd andeuten, wie kreativ Polke war und was es alles in seinem Werk zu entdecken gibt. Und in der Tat: Man muss es in den Originalwerken entdecken, denn selbst gute Farbabbildungen können die optische Beschaffenheit von Polkes Materialvielfalt nicht vollständig wiedergeben. Hinzu kommt, dass viele Bilder recht groß sind und dieses Format eine entscheidende Rolle bei ihrer Wirkung hat.
Ich habe jedenfalls einmal mehr sehr gerne stundenlang auf Polkes Werke geschaut und immer wieder Neues entdeckt!
Tip für den Besuch:
Dies ist eine sehr große Ausstellung! Also ordentlich Zeit einplanen, insbesondere wenn man auch die diversen Filme anschauen möchte, die oft eher dokumentarischen Charakter haben und 30 oder sogar 60 Minuten dauern.
Persönliche Favoriten:
- „Kopf“ (1966) ist auch aus heutiger Sicht unglaublich modern.
- „Handlinien“ (1968) räumen mit Aberglauben, Kunsttheorien etc. auf.
- Stets gerne wiedergesehen: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ (1969)
- „Can you always believe your eyes?“ (1976)
- Die Hochsitz-Bilder.
- „The Spirits That Lend Strength Are Invisible“ (II und V, 1988).
- Film „Farbe“ (um 1986-1992).
- „Frau Herbst und ihre zwei Töchter” (1991), auch hier kann man „Kunst und Physik” wiederfinden. Eines meiner absoluten Lieblingsbilder!
- „Strahlen Sehen“ (2007).