Europa in der Renaissance – Metamorphosen 1400-1600 (Zürich 2016)

LandesmuseumZuerichRenaissanceAusstellung: „Europa in der Renaissance – Metamorphosen 1400-1600“

Wo: Landesmuseum Zürich

Wann: 1.8. – 27.11.2016

Link: https://www.nationalmuseum.ch/d/microsites/2016/Zuerich/Renaissance.php

Eintritt: CHF 10 / 8

Katalog: Der Katalog kostet in der Ausstellung 55 CHF (gebunden) und im deutschen Buchhandel 49,80 €. Das Katalogbuch umfasst eine Reihe kulturhistorischer Einführungstexte zu verschiedenen Aspekten der Renaissance sowie den eigentlichen Katalogteil, in dem jedes Werk abgebildet und mit einem kurzen Text erläutert wird. Für meinen Geschmack sind letztere Texte zu kurz und lassen viele Fragen offen, aber angesichts von beinahe 300 Ausstellungsobjekten ist dies wohl die einzige Möglichkeit, den Katalog nicht noch voluminöser werden zu lassen.

Über die Ausstellung:
Eine Ausstellung zur Renaissance, was mag man da erwarten? Vielleicht fallen einem als erstes die Kunst von Botticelli, Michelangelo, Raffael oder Dürer ein, wie sie in den letzten Jahren auch an verschiedenen Orten im deutschsprachigen Raum zu sehen war. Aber die aktuelle Ausstellung findet nicht in einem Kunstmuseum statt, sondern in einem kulturhistorischen. Das Landesmuseum Zürich eröffnet mit dieser Sonderausstellung sogar seinen Erweiterungsbau.
Somit wird die Renaissance aus kulturhistorischer Sicht angegangen und das auf großem Maßstab: Der Zeitrahmen ist von 1400 bis 1600 und der geographische Rahmen ist Europa als Ganzes, wobei ein gewisser Fokus auf der Schweiz liegt, was mir als deutschem Besucher einige willkommene Überraschungen und „Neuentdeckungen“ bereitet hat. Die Ausstellung ist in verschiedene Kapitel gegliedert, von denen sich eine ganze Reihe auch mit technischen Aspekten (z.B. Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, Entdeckungsreisen und dazugehörige Vermessungs-/Navigationsinstrumente; Anatomie/Medizin) befassen.

Kunst + Physik:
Gerade bei den technischen Aspekten gibt es reichlich Physik und verwandte Konzepte sowie technische Anwendungen davon zu entdecken. Oft muss man dafür recht genau hinschauen, aber aus Physikersicht kann man dabei reichlich belohnt werden. Ich persönlich finde hierbei besonders die Mischung unterschiedlicher Aspekte (historische, politische, gesellschaftliche, kulturelle, technische…) interessant, die die Ausstellung präsentiert.

So ist das bahnbrechende Buch „Divina proportione opera“ von Luca Pacioli ausgestellt oder eine beeindruckende Turmuhr von 1529 aus Winterthur (des Schlossers und Turmbauers Lorenz Liechti).

Persönliche Einschätzung:
Die Ausstellung bringt kultur- und kunsthistorische Aspekte zusammen. Somit finden sich für Besucher mit sehr unterschiedlichen Interessen vielseitige Ansatzpunkte. Für mich waren dabei viele Aspekte des „alltäglichen“ Lebens der Renaissance neu, etwa zum Handel und der Verwaltung. Man sollte sich vom etwas philologischen Einschlag der Ausstellung (z.B. einer Reminiszenz an Jacob Burckhardt oder diversen antiken Texten) nicht abschrecken lassen, es gibt auch ohne geisteswissenschaftliche Vorkenntnisse viele interessante – und schöne – Dinge zu sehen und zu entdecken.
Gerade weil die ganz großen Namen der Renaissancekunst nur spärlich in der Ausstellung vertreten sind, ist man besonders eingeladen, sich die Werke jener Künstler einmal genauer anzuschauen, die etwas abseits der großen Renaissance-Orte tätig waren und deshalb in den großen Kunstmuseen im Schatten von Raffael, Tizian, Dürer & Co stehen. Und hier gibt es aus meiner Sicht eine Menge zu entdecken!

Tip für den Besuch:
Dies ist eine sehr umfangreiche Ausstellung und viele der gezeigten Werke sind Bücher, Grafiken oder kleine Gebrauchsgegenstände, die eine genaues Hinschauen verlangen (und oft ein Nachlesen, worum es sich eigentlich handelt, was z.B. an Touchscreens zu erfahren ist). Somit sollte man sich genug Zeit nehmen. Oder aber erst einmal durch die ganze Ausstellung gehen und sich einen Eindruck vom Umfang verschaffen.

Persönliche Favoriten:

  • Simone di Andrea Bellandi: „Warenorder des Handelshause Datini von Barcelona nach Florenz“ (1402/03)
  • Domenico Ghirlandaio zugeschrieben: „Codex Escurialensis“ (um 1491)
  • Francesco die Giorgio Martini zugeschrieben: „Relief mit dem Bildnis des Federico da Montefeltro“ (um 1475) zeigt einen meiner „Favoriten der Renaissance“
  • Leon Battista Alberti zugeschrieben: „Skizze für Badegebäude aus einer Sammelhandschrift mit 333 Architekturzeichnungen“ (1454?) ist ein Beispiel für architektonischen Alltag
  • Tobias Stimmer: „Selbstbildnis“ (um 1563), der Schweizer Künstler Tobias Stimmer zeigt sich hier in eindrucksvoller Pose
  • Francesco Laurana: „Büste der Beatrix von Aragon“ (um 1474/75)
  • Sebastiano del Piombo: „Bildnis eines Mannes, angeblich Christoph Kolumbus“ (1519) ist mir aus meinem Schulgeschichtsbuch vertraut und hängt sonst im Metropolitan Museum in New York
  • Umfeld des Francois Clouet:  „Idealbildnis der Sabina Poppea“ (1550-1560), eines der bekanntesten (und wohl schönsten) Gemälde der Schule von Fontainebleau
  • Ludger tom Ring der Ältere: „Der Dichter Vergil“ (um 1538)
  • Pseudo-Félix Chrétien: „Kellerszene“ (1537), ein Gemälde das ich an seinem angestammten Platz im Frankfurter Städel schon mehrmals bewundert habe und das nun wunderbar in den weiteren Kontext der Ausstellung passt
  • Antonio Pollaiuolo: „Kampf der nackten Männer“ (um 1470-75), einer der bedeutendsten italienischen Kupferstiche, den ich zuvor noch nie als Original gesehen habe
  • Hans Leu der Jüngere: Der heilige Hieronymus in felsiger Landschaft“ (um 1515) und Niklaus Manuel Deutsch: „Mädchen mit Fangseil und Künstlermonogramm“ (um 1518) sind wunderbare Beispiele für die zeichnerische Meisterschaft und Originalität Schweizer Renaissancekünstler
  • Hans Holbein d.J.: „Die Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“ (1525/26 und 1528) ist sonst in Schwäbisch Hall zu sehen und auch beim wiederholten Betrachten ein absolutes Meisterwerk
  • Unbekannter englischer Künstler: „König Elisabeth“ („Armada-Porträt“) ist eines der berühmtesten Porträts der englischen Geschichte überhaupt und dient hier der Versinnbildlichung des Endes der Renaissance und der sich anschließenden Veränderungen innerhalb der europäischen Mächte.