Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt (Stuttgart 2014/15)

Ausstellung: „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“

Wo: Staatsgalerie Stuttgart

Wann: 21.11.2014 – 19.4.2015 (wurde verlängert)

Link: https://www.staatsgalerie.de/ausstellungen/rueckblick/oskar-schlemmer.html/

Eintritt: 12€ / 10€

Katalog: Im Buchhandel 49,90 €; in der Ausstellung 29,90 €, was für dieses gut gemachte Buch mit festem Einband und schönen Abbildungen ein wahrlich fairer Preis ist. Im Katalog werden die ausgestellten Werke nicht separat beschrieben, sondern kapitelweise.

 

Über die Ausstellung:
Oskar Schlemmer (1888-1943) ist gerade wegen seine Tätigkeit am Bauhaus ein Künstler von internationaler Bedeutung, aber er ist gewissermaßen auch eine Stuttgarter Lokalgröße: Er wurde hier geboren und an der hiesigen Akademie ausgebildet (Adolf Hölzel), auch wurde das tänzerische Hauptwerk Schlemmers, das berühmte Triadische Ballett, in Stuttgart uraufgeführt. Die Stuttgarter Staatsgalerie ist das Museum mit der bedeutendsten Schlemmer-Sammlung, incl. dem Schlemmer-Archiv. Die letzte große Schlemmer-Ausstellung fand 1977 ebenfalls in Stuttgart statt, später haben Streitigkeiten unter den Schlemmer-Erben dazu geführt, dass es keine Schlemmer gewidmeten Ausstellungen oder Publikationen mehr gab. Mit dem Ablauf des Copyrights von Oskar Schlemmers Werken 70 Jahre nach seinem Tod war der Weg frei für eine erste neue Schlemmer-Retrospektive. Die Stuttgarter Staatsgalerie zeigt Oskar Schlemmers Werk nun in großem Umfang und mit verschiedenen Facetten.
Die Ausstellung ist zweigeteilt: Der Ausstellungssaal im Erdgeschoss beginnt mit einem fulminanten Auftakt repräsentativer Hauptwerke. Darauf folgt eine chronologische Abfolge von Schlemmers Werk. In einem kleinen Nebenraum werden einige Schlemmer-Archivalien gezeigt. Im Obergeschoss widmen sich sieben weitere Säle umfangreich zwei besonderen Themen: Schlemmers Beitrag zum modernen Tanz (darunter in der Staatsgalerie bewahrte Originalkostüme des Triadischen Balletts, dazu kommen zwei Videoprojektionen) sowie seinen großformatigen Wandgestaltungen, insbesondere drei Entwurfszyklen für das Museum Folkwang, die ebenfalls der Staatsgalerie gehören und sonst nicht (oder nur in viel kleinerem Umfang) ausgestellt sind.
Die Ausstellung zeigt nicht nur zahlreiche bedeutende Gemälde von Oskar Schlemmer, sondern mit dem Untertitel „Visionen einer neuen Welt“ wird er als über die bildende Kunst hinaus denkender „Gestalter“ präsentiert.

Kunst + Physik:
Oskar Schlemmers Werke setzen sich nicht vordergründig mit den Naturwissenschaften auseinander. Aber ein Kernthema seines Schaffens ist „die menschliche Figur im Raum“ und diese Frage der Raumauffassung berührt natürlich auch physikalische Konzepte. Wenn man sich etwas darauf einlässt, gibt es durchaus Anknüpfungspunkte für naturwissenschaftliche Denkweisen. „Bewegung im Raum“ ist ein Kernthema des Videos im ersten Saal im Obergeschoss, das Szenen aus einer Rekonstruktion (1969) von Schlemmers „Bauhaustänzen“ mit unterschiedlichen Herangehensweisen hierzu zeigt.
Im letzten Raum im Erdgeschoss gibt es außerdem vier für mich sehr interessante „Material-Studien“ mit Lack von 1940/41, die Schlemmer während des 2. Weltkriegs in Wuppertal im Auftrag des befreundeten Lack-Fabrikanten Kurt Herberts durchführte, was ihm – als „entarteter Künstler“ vom offiziellen Kunstbetrieb in Deutschland ausgeschlossen – zumindest ein gewisses Einkommen als „Maler“ ermöglichte. (Diese Arbeiten befinden sich sonst im Kunstmuseum Stuttgart, wo man in der aktuellen Sammlungspräsentation viele weitere solcher Lackstudien von Oskar Schlemmer, Willi Baumeister und Franz Krause sehen kann.)

Persönliche Einschätzung:
Die Ausstellung zeigt Oskar Schlemmer als vielseitigen Künstler, der großen Einfluss auf die moderne Kunst und verwandte Gebiete, insbesondere den Tanz, genommen hat. Der chronologische Teil im Erdgeschoss ist gespickt mit hervorragenden Werken, aus meiner Sicht „Schlemmer in Bestform“. Es wird in absehbarer Zeit keine bessere Werkzusammenstellung Schlemmers geben können! Die direkte Kombination von Zeichnungen und Gemälden (und auch einigen Skulpturen) erlaubt außerdem einen guten Einblick in Schlemmers Werkgenese. Es werden erfreulich viele, teils sehr große Arbeiten auf Papier gezeigt!
Die Präsentation der Werke im Erdgeschoss in eher „kleineren Räumen“ ist dem Format der meisten Werke angemessen, wohingegen die weiten Säle im Obergeschoss die großen Entwürfe der Folkwang-Wandarbeiten großzügig zur Geltung kommen lassen. Insgesamt eine wirklich gelungene Ausstellung.

Tip für den Besuch:
Die Ausstellung ist recht umfangreich, man sollte also etwas Zeit mitbringen, insbesondere wenn man sich auch die Tanz-Videos anschauen möchte. Die Ausstellung wird vom Publikum sehr gut angenommen, was dazu führen kann, dass die „engeren“ Räume im Erdgeschoss mit den bedeutenden Gemälden gut gefüllt sein können. Im Obergeschoss ist hingegen deutlich mehr Platz und es könnte sich anbieten, lieber „kurz vor Schließzeit“ die Werke im Erdgeschoss (noch einmal) mit etwas mehr Ruhe anzuschauen.

Persönliche Favoriten:
(Vorbemerkung: Als Staatsgalerie-Stammgast waren mir die wichtigen Stuttgarter Schlemmer-Werke bereits vor der Ausstellung sehr vertraut und deshalb nenne ich sie hier nun nicht.)

  • Große Entwurfszeichnung „Sitzender Homo mit Rückenfigur auf der Hand“ (1930; Staatsgalerie Stuttgart) gleich im Eingangsraum links um die Ecke. Eine Replik der realisierten Wandgestaltung hängt im Treppenhaus.
  • Skulpturen aus der Bauhaus-Zeit.
  • „Vierzehnergruppe in imaginärer Architektur“ (1930-36; Museum Ludwig, Köln).
  • „Wettlauf“ (1930; Wadsworth Atheneum, Hartford), ein vergleichsweise buntes Bild.
  • Video zu den Bauhaustänzen.
  • Die großen Entwurfszeichnungen zur Folkwang-Wandgestaltung (2. und 3. Zyklus; Staatsgalerie Stuttgart).
  • Entwurfszeichnung für „Wandfries im Haus Mendelsohn Berlin“ (1930; Daimler Art Collection).
  • Großes Wandbild „Familie“ (1940; Galerie Pels-Leuden) im letzten Saal.
  • Und schließlich noch ein Wort zur berühmten „Bauhaustreppe“ aus dem New Yorker MoMA: Es ist ein programmatisches Hauptwerk Schlemmers und Sinnbild für eine ganze Kunstrichtung und deshalb nimmt es zu Recht einen zentralen Platz gleich zu Beginn der Ausstellung ein. Als ich das Bild nun erstmals seit vielen Jahren im Original wiedergesehen habe, fiel mir ein Zitat von Werner Schmalenbach ein: „Das […] Bild ist zu groß und übrigens auch zu blau.“ Die Größe des Bildes finde ich passend, aber farblich… erinnert mich das Bild an alte, verblichene Fotos.