Thomas Struth. Nature & Politics (Essen 2016)

MuseumFolkwangThomasStruthAusstellung: „Thomas Struth. Nature & Politics“

Wo: Museum Folkwang, Essen (ich habe die Ausstellung in Essen gesehen, sie wandert danach nach Berlin (Martin-Gropius-Bau, 11.6.2016 – 18.9.2016), Atlanta und St. Louis)

Wann: 4.3.2016 – 29.5.2016

Link: https://www.museum-folkwang.de/de/aktuelles/ausstellungen/archiv/thomas-struth.html

Eintritt: 8€/5€

Katalog: Der Katalog kostet in der Ausstellung 45€ (großformatiges Paperback mit interessantem bunt bedrucktem Klarsichtumschlag). Dieses Buch bildet viel mehr Werke ab als in der Ausstellung zu sehen sind (und es wird dort auch leider nicht verzeichnet, welche dies sind), es ist eine Dokumentation aller Werke von Thomas Struth, die zu „Nature & Politics“ gehören (könnten). Das Buch ist schön durchzublättern und die großen Abbildungen, teils mit Detailaufnahmen, beeindrucken. Von den drei (eher kurzen) Texten konnte mich hingegen nur der erste überzeugen und man erfährt auch hier keine weiteren Details zu den Motiven der Fotos. Und die Texte scheinen (ausschließlich?) für Geisteswissenschaftler geschrieben zu sein. Frappantes Beispiel: In einem der Texte taucht eine (einzige) mathematische Gleichung auf, die mir für dieses Buch weder notwendig noch hilfreich erscheint und die obendrein auch noch falsch (also wohl unverstanden) angegeben wird.

Über die Ausstellung:
Thomas Struth gehört zu den auch international anerkannten Fotografen der Gegenwart. Er ist einer der „Becher-Schüler“ der Düsseldorfer Kunstakademie und hat sich wie seine dortigen Lehrer Bernd und Hilla Becher durch sachliche Fotografien einen Namen gemacht, die oftmals thematischen Serien darstellen. Die Ausstellung im Museum Folkwang zeigt nun ausschließlich Arbeiten der letzten etwa 10 Jahre. Der Titel der Ausstellung, „Nature & Politics“, setzt dabei einen sehr hohen Anspruch: Thomas Struth will nicht nur interessante optische Eindrücke wiedergeben, sondern den Betrachter augenscheinlich auch zum Nachdenken über unsere aktuelle Lebenswelt animieren, wobei er als Fotomotive hierzu sehr ungewöhnliche Themen ausgewählt hat, etwa Forschungslabore, Technik an Produktionsstätten, künstliche Landschaften in Vergnügungsparks oder verlassene bzw. den Verfall freigegeben städtische Orte. Die Fotos werden großformatig, teils riesig, präsentiert. Erläuterungen zu den einzelnen Motiven gibt es keine, ein Faltblatt vermerkt lediglich die – für Außenstehende teils kryptischen – Titel der Arbeiten. Auch hängen die Arbeiten nicht entsprechend den Werkgruppen geordnet, sondern „motivisch durchmischt“ in der Ausstellung.

Kunst + Physik:
Die Forschungslabore, die auf zahlreichen der gezeigten Werke zu sehen sind, geben reichlich Futter für Physik-interessierte Betrachter-Augen! Ich habe selten so viel echte, aktuelle Naturwissenschaft in einer Kunstausstellung gesehen. Aber da man als regulärer Besucher der Ausstellung praktisch keine Information mitgeliefert bekommt, was auf den Fotos im Detail dargestellt ist, muss man sich nicht nur „auf die Bilder einlassen“, sondern es besteht für „Nicht-Experten“ auch die Gefahr, dass man im Endeffekt zwar staunend und visuell beeindruckt von den Bildern steht, aber nicht begreift, was das Dargestellte eigentlich ist.

Hierbei decken die gezeigten Forschungslabore ein sehr weites Themenspektrum ab: Plasmaphysik, Festkörperphysik, Luft- und Raumfahrt, Optik, Hydrodynamik, Chemie, … Dies ist für den Betrachter aber möglicherweise gar nicht zugänglich, da man das, an dem geforscht wird, also etwa ein Plasma oder ein Festkörper, gar nicht zu sehen bekommt, sondern oft gewissermaßen nur die Instrumente oder die Infrastruktur, die für solche Forschung notwendig ist: Große Apparaturen mit vielen Rohren, Schläuchen und Kabeln. Dabei ist der Mensch hinter der Forschung auch hier zu finden, wenn auch oft nur „versteckt“: Jacken/Rucksäcke der Forscher oder lustige Kommentare/Bildchen, die die hier arbeitenden Menschen eigentlich nur für sich und ihre Kollegen eingefügt haben, aber nun von einem ganz anderen Publikum entdeckt werden können.

Persönliche Einschätzung:
Ich bin bei der Einschätzung dieser Ausstellung hin- und hergerissen: Einerseits war ich persönlich von vielen der gezeigten Werke beeindruckt und es hat mir auch große Freude bereitet, gerade bei den Aufnahmen aus Forschungslaboren herumzurätseln, was denn da eigentlich zu sehen ist oder aber auch viele Details zu entdecken, die ich so oder in ähnlicher Form aus meinem eigenen Forschungsalltag oder vom Besuch anderer Labore „in echt“ kenne. Auch ist es natürlich schön, wenn Besucher, die sonst nichts mit Naturwissenschaften zu tun haben, hier einen Eindruck davon bekommen, wie interessant und teils spektakulär es in einem Forschungslabor aussehen kann. Andererseits besteht aus meiner Sicht auch die Gefahr, dass die Besucher mit nur noch größerem Respekt vor den Naturwissenschaften zurückbleiben, weil sie bei diesen Bildern zwar ahnen, dass es um naturwissenschaftliche Forschung geht, aber das leider viel zu verbreitete Gefühl „ich verstehe das überhaupt nicht und sehe keine Chance, das jemals zu verstehen“ bestärkt werden könnte. Vielleicht hat Thomas Struth genau dies beabsichtigt, um die Herausforderungen der heutigen Welt zu verdeutlichen: „Nature & Politics“. Und leider bleibt bei mir der Eindruck, dass viele an dieser Ausstellung Beteiligte sich möglicherweise gar nicht bemüht haben, sich mit den naturwissenschaftlich-technischen Motiven über ein visuelles Staunen hinaus einzulassen. (Weiteres Beispiel: Im Begleitheft und im Buch ist eines der Fotos 90° verdreht abgebildet; in der Ausstellung hängt es zum Glück richtig orientiert.) Von all diesen Überlegungen unbeeinflusst bleiben mir eine große Anzahl teils sehr eindringlicher, teils visuell spektakulärer Fotografien in Erinnerung.

Hierbei sollte man erwähnen, dass die Fotos von Forschungslaboren noch nicht einmal die Hälfte der gezeigten Werke ausmachen. Sie sind aber trotzdem die umfangreichste Werkgruppe der Ausstellung und im Vergleich zu den anderen gezeigten Arbeiten sicherlich die in der heuten Fotokunst außergewöhnlicheren, was auch in verschiedenen Veröffentlichungen zu Thomas Struth bzw. zu dieser Ausstellung herausgestellt wurde.

Tip für den Besuch:
Man bekommt als Besucher ein Faltblatt, auf dem die gezeigten Arbeiten aufgelistet und (sehr klein) abgebildet sind. Da in den Ausstellungsräumen neben den Werken keine Titel oder sonstige Details angegeben sind, ist dies somit der einzige Weg, um als Ausstellungsbesucher herauszufinden, um was es sich bei den Motiven handeln könnte.

Persönliche Favoriten:

  • „Semi Submersible Rig, DSME Shipyard, Geoje Island“ (2007).
  • „Vehicle Assemply Building, Kennedy Space Center, Cape Canaveral“ (2008) hat mich insofern überrascht, weil ich zwar schon viele Außenansichten dieses Gebäudes gesehen hatte, mich aber nie gefragt hatte, wie es wohl in seinem Inneren aussieht.
  • „Chemistry Fume Cabinet, The University of Edinburgh“ (2010) ist vom Motiv her das vielleicht „normalste“ Forschungslabor in der Ausstellung, aber hier findet man besonders viele kleine Hinweise auf die Menschen, die hier arbeiten.
  • „Measuring, Helmholtz-Zentrum, Berlin“ (2012) ist innerhalb dieser Ausstellung das Labor, das am dichtesten an meiner eigenen Forschung liegt (es handelt sich um Apparaturen für Photoemissionsspektroskopie), aber der Titel „Measuring“ gibt dem Uneingeweihten leider nicht einmal den Hauch einer Chance zu verstehen, was er hier eigentlich sieht. Kunsthistorisches Schmankerl ist die „spiegelnde Halbkugel“ (ein „hemispherical analyzer“ für Elektronenenergie und –impuls), der an die Spiegel bei der Arnulfini-Hochzeit von Jan van Eyck oder den „Las Meninas“ von Velazquez denken lässt.
  • „Cinema, Anaheim“ (2013).
  • „GREAT, Armstrong Hangar 703, Palmdale“ (2014) zeigt das SOFIA-Teleskop und erfreut mich somit als Mitarbeiter der Universität Stuttgart.