Das Museum Castelvecchio in Verona präsentiert Werke aus der städtischen Kunstsammlung und umfasst den Zeitraum vom einsetzenden Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Es ist in der ehemaligen Festung („Castelvecchio“) untergebracht, die die Scaliger, das Verona im 13. und 14. Jahrhundert dominierende Adelsgeschlecht, direkt an der Etsch errichteten. Die ständige Ausstellung des Museums zeigt im Erdgeschoss vor allem Skulpturen des Mittelalters, die aus verschiedenen Kirchen Veronas stammen und den damaligen Reichtum der Stadt demonstrieren. Im Obergeschoss schließt sich die Gemäldesammlung an, die zunächst einige herausragende Werke der in Verona tätigen Maler am Übergang von Gotik zu Renaissance (Stefano di Giovanni/Stefano da Verona, Pisanello) zeigt, dann Vertreter der Renaissance in Norditalien (Jacopo Bellini, Giovanni Bellini, Carlo Crivelli, Andrea Mantegna) und schließlich einen Querschnitt durch italienische Barockmalerei.
Von überragender Bedeutung sind in der Sammlung vorrangig die mittelalterlichen Skulpturen sowie die norditalienischen Gemälde von Spätgotik bis in die Renaissance. Besonders zu beachten ist aber auch die Präsentation der Werke: Von 1958 bis 1975 hat Carlo Scarpa, einer der bedeutendsten italienischen Architekten des 20. Jahrhunderts, den Castelvecchio in mehreren Abschnitten umgebaut und dabei eine faszinierende Abfolge von Ausstellungsräumen geschaffen, die einerseits das Gebäude mit seiner vielfältigen jahrhundertelangen Geschichte offenlegt und andererseits mit meist schlichten aber selbstgewussten Eingriffen einen zusammenhängenden Besuchsweg und eine einheitliche, moderne Präsentation der Kunstwerke erzielt. Die Handschrift Carlo Scarpas zieht sich dabei unverkennbar durchs ganze Museum. Gewissermaßen hat er aus dem alten Gebäude und der Kunstsammlung eine Art „Gesamtkunstwerk“ geschaffen.
Ich selber habe das Museum Castelvecchio erstmals 1999 besucht und dann 2013. Beide Male war ich nicht nur von diversen Ausstellungsstücken angetan, sondern auch von der Ausstellungsarchtektur: Carla Scarpas Entwurf und Umsetzung im Museum Castelvecchio überzeugt auch heute noch, viele Jahrzehnte später!
Das ist umso wichtiger, da Scarpa in seinem Rundgang auch die Präsentation einzelner Werke, teils spektakulär, vorgegeben hat und diese nun kaum zu verändern ist: Beispielsweise steht die berühmte, von den monumentalen Scaliger-Gräbern zum Schutz ins Museum gebrachte Reiterfigur von Cangrande I. an einem prägnanten Übergang zwischen den das Museum beherbergenden Gebäudeflügeln. Und die beiden Gemälde, die das Ausklingen der Gotik in Verona am besten repräsentieren („Madonna im Rosengarten“ von Stefano di Giovanni und „Madonna mit der Wachtel“ von Pisanello), werden mitten in einem hohen, historischen Raum präsentiert: Das eine an zwei filigranen Eisenstangen hängend, das andere direkt daneben auf einer von Carlo Scarpa entworfenen Staffelei.
Am vergangenen Donnerstagabend, 19.11.2015, zur Zeit der abendlichen Schließung des Museums, drangen drei bewaffnete und maskierte Räuber in die Ausstellungsräume ein, überwältigten Kassenfrau und Wachmann und stahlen dann 17 (kleinformatige) Gemälde, darunter einige der bedeutendsten Werke des Museums, die ich noch in guter Erinnerung habe:
- Pisanello: „Madonna mit der Wachtel“
Für mich ist Pisanello einer der interessantesten Künstler am Übergang zwischen Gotik und Renaissance: Er war nicht nur als Maler tätig (zwei Fresken sind in Verona erhalten, Reste von weiteren Fresken in Mantua sowie einige wenige Tafelgemälde in Museen in London, Paris, Wien, Bergamo und eben Verona), sondern gilt auch als der Begründer der Tradition von künstlerischen Medaillen (wobei Medaillen von Pisanello in allen großen Münz-/Medaillen-Sammlungen der Welt zu sehen sind) und er schuf innerhalb seines beachtlichen Œuvres an Zeichnungen eine ganze Reihe detaillierter Studien von unterschiedlichen Tieren, die auch heutigen naturwissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. Pisanello war somit geradezu ein „Renaissance-Mensch avant la lettre“. Und da von ihm nur wenige Gemälde erhalten sind, fällt der Verlust der Veroneser Madonna natürlich besonders ins Gewicht. - Jacopo Bellini: „Hl. Hieronymus in der Wüste“
Während Pisanellos frühe Madonna noch sehr von mittelalterlichen Überlegungen beeinflusst ist, handelt es sich hierbei um ein wunderbares Beispiel für eine Heiligendarstellung aus der Frührenaissance. - Andrea Mantegna: „Heilige Familie mit einer Heiligen“
- Giovanni Francesco Caroto: „Portrait eines Jungen mit Zeichnung“ (bzw. „Portrait eines Jungen mit Kinderzeichnung“) sowie „Portrait eines jungen Benediktinermönchs“
Das „Portrait eines Jungen mit Zeichnung“ ist eines der ungewöhnlichsten, faszinierendsten und auch lustigsten Gemälde, die ich aus der italienischen Renaissance kenne. Die Zeichnung in der Hand des Jungen könnte auch von einem Kind (oder einem Karikaturisten) im 21. Jahrhundert gemalt worden sein. Und so etwas im 16. Jahrhundert in einem gemalten Portrait zu zeigen, ist wahrlich außergewöhnlich!
Bei meinem Besuch des Museums 1999 war dieses Gemälde nicht ausgestellt, umso gespannter war ich 2013 darauf, endlich das Original zu sehen – und ich wurde nicht enttäuscht! - Jacopo Tintoretto: „Stillende Madonna“, „Die Überführung der Bundeslade“ , „Das Gastmahl des Belsazar“, „Samson und die Philister“ und „Das Urteil des Salomo“
- Jacopo Tintoretto (Umkreis): „Portrait eines Mannes“
- Jacopo Tintoretto (Werkstatt): „Portrait eines venezianischen Admirals“
- Domenico Tintoretto: „Portrait des Marco Pasqualigo“
- Peter Paul Rubens: „Dame mit Lichtnelken“
- Hans de Jode: „Landschaft“ und „Hafen am Meer“
- Giovanni Benini: „Portrai des Girolamo Pompei“
Darüber, wie es nun mit dem Museum Castelvecchio und diesen Gemälden weitergehen wird, kann ich natürlich nur spekulieren. Derzeit wird ein Besucher also einige der bedeutendsten Gemälde der Sammlung schmerzlich vermissen. Natürlich hoffe, ich, dass diese Werke bald wieder an ihre angestammten Plätze zurückkehren werden. Aber auch wenn dies bald der Fall sein sollte, werden die Sicherheitsvorkehrungen im Museum Castelvecchio in Zukunft wohl verstärkt werden und ich könnte mir vorstellen, dass dies mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, wenn man die Ausstellungspräsentation von Carlo Scarpa auch im Detail beibehalten möchte. Ich hoffe jedenfalls das Beste für die Zukunft des Museum Castelvecchio und der geraubten Kunstwerke!
(Nachtrag siehe hier.)