Am gestrigen Sonntag, den 29.3.2020, starb Philip Warren Anderson im Alter von 96 Jahren. Phil Anderson gilt als einer der bedeutendsten, vielseitigsten und einflussreichsten Festkörperphysiker aller Zeiten. Er erhielt 1977 den Nobelpreis für Physik und eine ganze Reihe festkörperphysikalischer Konzepte gehen auf ihn zurück.
Während meines Studiums an der University of Maryland, College Park, hörte ich Festkörperphysik-Vorlesungen bei Sankar Das Sarma, seines Zeichens ebenfalls ein sehr bedeutender Festkörpertheoretiker. Und er sagte: „Der bedeutendste Festkörperphysiker überhaupt war Lev Landau. Der zweitbedeutendste Festkörperphysiker – und der bedeutendste lebende – ist Phil Anderson.“ Damals, als Student, war mir die weitreichende Bedeutung der Leistungen von Landau ebenso wenig bewusst wie der von Anderson, aber in den seitdem vergangenen Jahren habe ich mehr und mehr nachvollziehen können, was Das Sarma damit alles meinte. So sind für meine Forschung unter anderem Anderson localization, Anderson lattice und Anderson’s theorem relevant, die alle nach ihm benannt.
Phil Anderson war auch der erste Nobelpreisträger, von dem ich einen Fachvortrag gehört habe, 1998 in College Park. (Der erste Nobelpreisträger, den ich überhaupt live erlebt habe, war hingegen bereits 1995 Klaus von Klitzing, bei einer Jubiläumsveranstaltung von Jugend forscht in Hamburg.) Anderson sprach damals über seine Theorie der Hochtemperatursupraleiter und konkret über Experimente, die Kathryn Moler hierzu durchgeführt hatte. Ich erinnere mich noch, dass ich damals nicht viel vom Inhalt des Vortrags verstanden habe, aber dass der Seminarraum völlig überfüllt war von lauter Physikern, die einfach Phil Anderson hören wollten.
Persönlich habe ich Phil Anderson nie gesprochen. Aber über die Jahre habe ich immer wieder Publikationen von ihm gelesen, teils schon viele Jahrzehnte alt, aber für unsere heutige Forschung weiterhin wegweisend. Und ich habe eine Reihe von Festkörperphysiker kennengelernt, die mit Phil Anderson zusammengearbeitet haben, etwa als Doktoranden, und die heute ebenfalls berühmte, teils sehr kreative theoretische Physiker sind und denen er offensichtlich gut auf den beruflichen Weg geholfen hat.
Und vor einigen Jahren habe ich dann doch noch einmal „einen Hauch von Phil Anderson“ gespürt, als ich ein Koautor einer Publikation von 2015 mit dem Titel „The Higgs mode in disordered superconductors close to a quantum phase transition“ war. Zu dem Themenkomplex, den man heutzutage „Higgs-Mode in Supraleitern“ nennt, hat Phil Anderson grundlegende Studien beigetragen, bereits einige Jahre bevor Peter Higgs (und andere) hierzu Konsequenzen in der Teilchenphysik untersuchten. So fühlten wir uns besonders geehrt, als zu unserem Paper ein „News & Views“-Beitrag erschein, der von niemand Geringerem geschrieben war als Phil Anderson.
Die Festkörperphysik verliert mit ihm einen ihrer Giganten.