Der Physik-Nobelpreis 2020 wird verliehen an Roger Penrose, Reinhard Genzel und Andrea Ghez für ihre Forschung zu schwarzen Löchern. Diese Wahl des Nobel-Kommitees kam für viele Interessierte (mich eingeschlossen) sehr überraschend, denn bereits im vergangenen Jahr wurden drei Vertreter der Astrophysik mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet (für Ergebnisse der theoretischen Kosmologie sowie für die experimentelle Beobachtung von Exoplaneten) und 2017 mit „Gravitationswellen“ ebenfalls, so dass es für 2020 naheliegend schien, dass Wissenschaftler eines anderen Physik-Teilgebietes mit dem Nobelpreis gewürdigt werden würden, etwa der Atom-, Quanten- oder Festkörperphysik. Dass die drei nun ausgezeichneten Personen eines Physik-Nobelpreis würdig sind, wird aber niemand bestreiten. Roger Penrose ist über viele Jahrzehnte einer der einflussreichsten und auch kreativsten mathematischen Physiker und erhält nun eine Hälfte des Preises. Er hat nicht nur zu fundamentalen Fragen der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik geforscht, sondern mit den nach ihn benannten Penrose-Parkettierungen auch ein mathematisches Konzept erdacht, das in der Festkörperphysik im Kontext von Quasikristallen eine Rolle spielt. (Und eine kleine Randbemerkung: Der in der breiten Allgemeinheit bekannteste Physiker der letzten Jahrzehnte ist wohl der 2018 verstorbene Stephen Hawking, der ungeachtet seiner bedeutenden Leistungen in der Physik nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Hawking hat eng mit Penrose zusammengearbeitet und in diesem Kontext habe ich einmal von einem anderen Physiker die Bemerkung gehört: „Bevor Hawking den Nobelpreis erhalten könnte, müsste erst einmal Penrose ihn erhalten.“)
Die andere Hälfte des Preises teilen sich Reinhard Genzel und Andrea Ghez. Reinhard Genzel ist Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und einer der profiliertesten Astrophysiker Deutschlands. Er wird ausgezeichnet für seine jahrzehntelangen Beobachtungen, die nachwiesen, dass im Zentrum der Milchstraße ein supermassereiches schwarzes Loch vorliegt. Konkret untersuchte er den Stern S2, der auf elliptischer Bahn um Sagittarius A* im Sternbild Schütze kreist, welches sich somit als supermassereiches schwarzes Loch entpuppt – mit einer Masse von circa 4 Millionen Sonnenmassen. Für seine Forschung nutzte Reinhard Genzel einige der stärksten Teleskope auf der Erde an der Europäischen Südsternwarte in Chile. Denselben Fragestellungen widmet sich Andrea Ghez, die hierfür insbesondere das Keck-Observatorium auf Hawaii nutzen konnte.
Aus „Kunst und Physik“-Sicht ist das familiäre Umfeld von Andrea Ghez von besonderem Interesse: Ihre Mutter Susanne Ghez ist nämlich Kunsthistorikerin, die insbesondere für von ihr kuratierte Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in der Renaissance Society in Chicago bekannt ist und die im Team von Okwui Enwezor eine der Ko-Kuratorinnen der Documenta 11 in Kassel 2012 war.
Bei Reinhard Genzel war der Vater eine bekannte Persönlichkeit: Ludwig Genzel war ebenfalls ein herausragender Physiker und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart. Er war auf dem Gebiet der Festkörperoptik aktiv und entwickelte hierzu wegweisende Methoden der Infrarotspektroskopie, so dass insbesondere der Ferninfrarotbereich für die Festkörperspektroskopie zugänglich wurde. Zwar nutze ich selber in der Forschung Licht noch niedrigerer Frequenzen (Mikrowellen- und THz-Strahlung), aber die Fragestellungen sind hierbei jenen der Infrarotspektroskopie an Festkörpern verwandt. Und deshalb ist mir auch der „Ludwig-Genzel-Prize“ mit seinen Preisträgern aus diesem Forschungsgebiet sehr vertraut.
Roger Penrose hat ebenfalls bedeutende Verwandte vorzuweisen: Sein Vater Lionel Penrose hat zu Themen aus Psychiatrie, Kinderheilkunde, Mathematik und Schachtheorie geforscht und auch die drei Geschwister von Roger Penrose waren in diesen Gebieten tätig. Und sein Onkel Roland Penrose ist wiederum ein bekannter Name im Bereich bildende Kunst: Dieser war als Künstler, Kunsthistoriker und Sammler eine der prägenden Figuren des Surrealismus. Ähnliches gilt für Lee Miller, die in den 1920er Jahren als Modell für zahlreiche bedeutende Fotografen posierte, darunter für einige ikonische Aufnahmen von Man Ray, und danach selbst als Fotografin internationale Anerkennung erhielt (u.a. für ihre Arbeit als Kriegsfotografin mit amerikanischen Truppen im zweiten Weltkrieg). Seit 1947 war Lee Miller mit Roland Penrose verheiratet und somit Roger Penroses Tante.