Noch bis zum 5.9.2021 zeigt die Stuttgarter Staatsgalerie die Ausstellung „Mit allen Sinnen!“ mit Werken des französischen Impressionismus. Als die Schau im Oktober 2020 eröffnet wurde, wiesen die Ausstellungsmacher stolz darauf hin, dass etwa die Hälfte der gezeigten Bilder aus Privatsammlungen stammen und bisher kaum öffentlich gezeigt wurden. Solche Ankündigungen machen einerseits neugierig auf bisher Unbekanntes und andererseits etwas skeptisch, denn dass Kunstwerke lange nicht gezeigt wurden, sagt nichts über ihre Qualität aus. Zwischenzeitlich hatte die Staatsgalerie bereits angekündigt, dass eine größere Anzahl der Bilder auch nach der Ausstellung als Dauerleihgabe in der Staatsgalerie verbleiben werden und somit die Sammlungspräsentation in Zukunft verstärken wird. Darauf bin ich sehr gespannt, denn in der Tat könnten eine Reihe dieser Kunstwerke die Dauerausstellung der Staatsgalerie zum Impressionismus auch „in der Spitze“ (sowie mit bisher nicht vertretenen Größen des Impressionismus wie Mary Cassatt oder Gustave Caillebotte) verstärken, ähnlich wie es mit der Sammlung Steegmann für die bereits exzellent bestückte eigene Sammlung der Staatsgalerie zur klassichen Moderne der Fall ist.
Nun hat die Staatsgalerie wieder etwas bekannt gegeben: Zwei der impressionistischen Bilder der aktuellen Ausstellung, eines von Berthe Morisot und eines von Paul Gauguin, wurden ihr aus dem Privatbesitz geschenkt. Für mich als Außenstehenden war dies eine große Überraschung: Ählich wie im Falle von Banksys geschreddertem „Girl with Balloon“, welches ab März 2019 für ein Jahr als Leihgabe an verschiedenen Orten der ständigen Sammlung gezeigt wurde, scheinen die Verantwortlichen auch hier einen guten Draht zu ungenannten Privatsammelnden zu haben. Vielleicht erfahren wir ja irgendwann einmal mehr über die Hintergründe dieser Impressionismus-Privatsammlungen und des erfreulichen Übergangs der beiden Werke in die Staatsgalerie.
Die eine Schenkung ist Paul Gauguins „Das Bassin“ von 1884. Dies ist das dritte Gemälde von Gauguin in der Staatsgalerie, aber es handelt sich um ein deutlich früheres Werk als die bedeutenden „E Haere oe i hia (Wohin gehst Du?)“ (1892) und „Die Mutter des Künstlers“ (um 1893) aus dem Kontext seines ersten Tahitiaufenthaltes. „Das Bassin“ kann eine zukünftige Präsentation zu Gauguins Schaffen in der ständigen Ausstellung also abrunden, wird aber voraussichtlich etwas im Schatten der beiden anderen Gauguin-Werke stehen und somit vermutlich nicht zu einem besonderen Aushängeschild in der Staatsgalerie werden, zumal in letzter Zeit kritische Aspekte zur Person Paul Gauguin im Kunstgeschichtsgeschehen immer intensiver dargelegt werden.
Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten Werk, Berthe Morisots „Amme und Kind (Blanche Pontillon)“ (1872). Im Vergleich zu ihren männlichen Impressionisten-Kollegen wurde und wird Berthe Morisot (1841-1895) mit ihrem künstlerischen Wirken bis heute vergleichsweise wenig gewürdigt, wohingegen ihre jahrelange enge Verbundenheit zu Édouard Manet, dessen Bruder Eugène Manet sie 1874 heirate, regelmäßig dargelegt wird.
Berthe Morisot ist als bedeutendes Mitglied der französischen Impressionisten bedauerlicherweise in den tradtionsreichen deutschen Museumssammlungen kaum zu finden, wie auch andere weibliche Vertreter dieser Kunstrichtung wie Eva Gonzalès oder Mary Cassatt. Immerhin zeigt die Sammlung Hasso Plattner im Museum Barberini in Potsdam ihr kleines Ölgemälde „Die Themse“ von 1875 und auch in der Sammlung der im Kölner Wallraf-Richartz-Museum beheimateten Fondation Corboud ist sie vertreten.
Als Kunstfreund in Stuttgart musste man bisher auf internationale Leihgaben warten, wenn man das Schaffen von Berthe Morisot im Original erleben wollte, etwa 2003/2004 zwei bedeutende Werke aus der dänischen Sammlung Ordrupgaard. Nun also verfügt die Staatsgalerie über ein eigenes Bild – übrigens auch das einzige von Morisot in der aktuellen Sonderausstellung – und es handelt sich mit der Darstellung eines kleinen Kindes, hier gemeinsam mit einer Amme, um ein für Morisot charakteristischen Motiv. Ob es auch dauerhaft gezeigt werden wird, wird sich zeigen, denn als Pastell, immerhin mit den Maßen 48 x 63 cm, wird es möglicherweise aus konservatorischen Gründen nur eingeschränkt in den regulären Museumsräumen ausgestellt werden können. Wir werden es sehen und ich bin ebenso gespannt, wie sich die übrigen impressionistischen Dauerleihgaben in den Präsentation der Staatsgalerie einfügen werden!