Am 2.5.1519 starb Leonardo da Vinci im Château du Clos Lucé, einem der Schlösser im Loiretal. Das 500-jährige Jubiläum dieses Todestages lässt 2019 zum globalen Leonardo-Jahr werden, in dem alle nur erdenklichen Facetten von Leben, Schaffen und Mythos dieses wohl bekanntesten Menschen aus der italienischen Renaissance in den Medien zu finden sind.
Sucht man hingegen eine direkte Begegnung mit Leonardo da Vincis Werk, tut man sich zumindest im deutschsprachigen Raum schwer: Lediglich die Alte Pinakothek kann ein (frühes) Gemälde von ihm in ihrer Dauerausstellung zeigen. Überhaupt gelten nur etwa 15 Gemälde weltweit als anerkannte Leonardo-Werke. Ich selber habe inzwischen immerhin einen Großteil von diesen im Original sehen können, vorrangig natürlich in Paris, wo ich stets wieder überrascht bin, wie riesig der Unterschied im Publikumsinteresse zwischen der Mona Lisa und den anderen im Louvre hängenden Gemälden von Leonardo da Vinci ist.
Etwas anders verhält es sich mit Leonardos Zeichnungen, von denen eine beachtliche Anzahl erhalten ist, die aber aus konservatorischen Gründen nicht dauerhaft öffentlich ausgestellt werden. Deshalb ist es auch eine Zeichnung, für die ich bisher die „längste Anreise gezielt für ein Werk von Leonardo da Vinci“ unternommen habe: 2013 zeigte die Galleria dell’ Accademia in Venedig die Ausstellung „Leonardo da Vinci. L’uomo universale“, die sich anhand von Dutzenden Zeichnungen mit seinem Schaffen in unterschiedlichen Gebieten befasste, von bildender Kunst über Naturwissenschaft hin zu Ingenieuraufgaben, was Leonardo da Vinci einmal mehr als Paradebeispiel für „Kunst und Physik“ präsentierte. Und dies gilt natürlich im Besonderen für die Zeichnung aus dem eigenen Bestand der Accademia, welche im wahrsten Sinne im Mittelpunkt der Ausstellung stand, nämlich den „Vitruvianischen Mensch“.
Auch wenn ich damals schon einiges über Leonardo da Vinci wusste, so hat mir diese Ausstellung auch einige Überraschungen beschert. Die größte dabei betraf den „Vitruvianischen Menschen“: Zwar war „Leonardo da Vinci. L’uomo universale“ eine der raren Gelegenheiten, dieses in unzähligen Variationen aufgegriffene Motiv und damit die vielleicht weltweit meistreproduzierte Zeichnung überhaupt im Original zu sehen, aber überraschend wenige Besucher haben diese genutzt. Somit hatte ich das erfreuliche Privileg, herausragende Zeichnungen Leonardos ungestört in Ruhe betrachten zu können, einschließlich des „Vitruvianischen Menschen“. Im großen, lauten Jubiläumsjahr 2019 wäre dies in dieser Form sicherlich nicht denkbar, aber etwas abseits vom Haupttrubel wird es sicherlich auch weiterhin möglich sein, einen direkten und weniger überlaufenen Eindruck von Leonardo da Vinci im Original zu gewinnen. Als Beispiele nenne ich die Renaissance-Ausstellung in Zürich oder die kürzliche „Florenz“-Ausstellung in der Alten Pinakothek, die nicht nur die oben erwähnte Münchner Leonardo-Madonna zeigte, sondern als Leihgaben auch kleinformatige Zeichnungen von ihm, darunter ein violett grundiertes Juwel aus der Hamburger Kunsthalle.